Unikat und Universalgut

Christian warf diese interessante Frage auf:

»…wenn eine Firma mich (als professionellen Softwareentwickler) beauftragt, ihnen eine Software entwickeln, hat, obwohl ich die Software für sie entwickle, dafür jede Menge abstrakter Arbeit aufwende, und sie ihnen schließlich (ggf. inklusive aller Rechte) aushändige, trotzdem kein Tausch stattgefunden? Genauer gesagt, ob ein Tausch stattgefunden hat, soll ich daran festmachen, ob anschließlich die Software nur bei einem bestimmten Kunden eingesetzt wird (”Unikat”, meine abstrakte Arbeit bleibt werthaltig, Tausch hat stattgefunden) oder bei mehreren/vielen (”Universalgut”, meine abstrakte Arbeit scheint nun plötzlich wertlos zu geworden zu sein, wodurch kein Tausch mehr stattgefunden hat, weil ich meinem Auftraggeber keinen “Gegenwert” geliefert habe)??«

Vier Fragen stecken hier drin:

  1. Kann man abstrakte Arbeit aufwenden?
  2. Findet ein Tausch statt, wenn sich eine Firma eine Software entwickeln lässt?
  3. Unterscheiden sich Unikat und Universalgut hinsichtlich ihrer Werthaltigkeit?
  4. Was ist mit Zwischenformen von Unikat und Universalgut?

Der Reihe nach.

1. Kann man abstrakte Arbeit aufwenden?

»Abstrakte Arbeit« ist keine Naturalform. Es gibt nicht so etwas wie »abstrakte Arbeit«, die ich aufwenden könnte. Das ist ausschließlich eine Gedankenform, ein analytischer Begriff. Darin steckt nämlich die Entdeckung von Marx, dass warenproduzierende Arbeit einen Doppelcharakter besitzt: Sie schafft einerseits Gebrauchswerte (durch »konkrete Arbeit«) und andererseits gleichzeitig Wertsubstanz (durch »abstrakte Arbeit«). Wie Benni aber hier darstellt (in Punkt 1), ist trotz des Wortes »Substanz« der Wert nichts Dingliches, die ich an der Ware irgendwie ablesen könnte, sondern ein Verhältnis zu (bzw. ein Vergleich mit) anderen Waren, das im Tausch auf dem Markt hergestellt wird.

Kurz: Wenn jemand schuftet, sieht man der Arbeit nicht an, ob sie wertproduktiv oder unproduktiv, abstrakt oder universell ist: »Der Charakter der Arbeit ergibt sich einzig aus ihrem Verhältnis zu den sie erzeugenden Gütern und sozialen Beziehungen, denn “Arbeit im Kapitalismus” ist selbst ein gesellschaftliches Verhältnis und keine überhistorische Seinsbestimmung des Menschen.« (vgl. »Gorz über Universalgüter«)

2. Findet ein Tausch statt, wenn sich eine Firma eine Software entwickeln lässt?

Wenn eine Firma meine Arbeitskraft für die Entwicklung von Software einkauft — unabhängig davon, ob ich als Festangestellter, Teilzeitbeschäftiger, Leiharbeiter oder beauftragter Selbststängiger oder sonstwie tätig bin –, dann ist das ein Tausch Geld gegen Arbeitskraft. Ob diese Arbeitskraft Warencharakter besitzt, also auch Wertsubstanz erzeugt, hängt von der Art ihrer Vernutzung ab. Denn: Siehe 1.

Ferner ist zu unterscheiden, wie die im Auftrag entwickelte Software eingesetzt wird. Vertreibt die Firma die Software bzw. die Lizenzen selbst auf dem Markt, dann handelt es sich bei der Software um ein privatisiertes Universalgut als Resultat privatisierter allgemeiner Arbeit, mit dem nun Geld gemacht wird. Der »normale« Fall also. Wird die Software in eigenen Produktionsprozessen eingesetzt, dann ist zu differenzieren — was ich in Punkt 3 diskutiere.

3. Unterscheiden sich Unikat und Universalgut hinsichtlich ihrer Werthaltigkeit?

Jetzt zum Kern der Frage. Warum soll man Unikat und Universalgut überhaupt unterscheiden — Software ist Software und damit potenziell beliebig duplizierbar? Zum Verständnis ist ein logisch-historischer Rekurs notwendig. Die Entstehung der Computertechnik hat mehrere historische Quellen: Volkszählung, Militär, Kryptographie, Produktion. Für unseren Zusammenhang ist letzteres interessant (m.E. ist das auch die wesentliche Quelle). Ausführlich hier.

Nach der Übertragung von Werkzeug und Handwerkerwissen »in« die Werkzeugmaschine (erste industrielle Revolution) und der ingenieur- und arbeitswissenschaftlichen Optimierung der gegenständlichen Analogmaschinen (zweite industrielle Revolution) wurde die vormals integrierten Funktionen wieder separiert und an Spezialmaschinen übertragen: flexible Fertigmaschinen (Roboter etc.) auf der einen, die digitale Universalmaschine (Computer) samt in Algorithmen vergegenständlichtem Fertigungswissen auf der anderen Seite (dritte industrielle Revolution). Von den Problemen sehe ich hier mal ab. Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass eine konkrete Fertigung alle drei maschinellen Aspekte (Prozessmaschine, Computer, Software) plus menschlicher Arbeitskraft benötigt. Die Software ist damit Teil des fixen Kapitals (Marx ordnete in den »Grundrissen« probehalber nicht nur das vergegenständlichte, sondern auch das lebendige Wissen dem fixen Kapital zu!).

Software, also vergegenständlichtes Wissen (bzw. angewendete Wissenschaft), hat nun potenziell universellen Charakter, und zwar genau dann, wenn es zur Software auch entsprechende Interpretationsmaschinen gibt. Ist die Interpretationsmaschine ein PC, auf dem mit der Software eine »Interpretation« erzeugt werden kann (Programmablauf), dann hat die Software universalen Charakter. Ist die Interpretationsmaschine eine einzigartige Kombination aus Computer und Prozessmaschine, dann hat die Software keinen universellen Charakter, sondern ist als Teil der Maschine anzusehen (als ob die Logik noch in analoger Form drinsteckte).

Daraus folgt: Software als Teil von singulären Maschinen ist ein Unikat und damit werthaltig, Software als Teil von Universalmaschinen ist ein Universalgut und damit wertlos. Beides jedoch ist Teil des fixen Kapitals, beim Unikat gar Teil der Wertsubstanz, die beim Einsatz der Maschine an die damit hergestellten Produkte abgegeben wird. Beim Universalgut wird keine Wertsubstanz der Maschine zugesetzt, gleichwohl jedoch »Funktionalität«, die einen Wissenvorsprung (= Konkurrenzvorteil = potenzieller Extra-Profit) bedeuten kann oder bloße Produktionsvoraussetzung ist, wenn das alle (Konkurrenten) haben. Ist es dann überhaupt noch sinnvoll vom »Teil des Fixkapitals« zu sprechen, wenn der Wertanteil Null ist? Weiss ich nicht, intuitiv würde ich sagen: ja, trotzdem.

4. Was ist mit Zwischenformen von Unikat und Universalgut?

Was ist, wenn ich mehrere Kunden mit meiner Software versorge, die Software also kein Unikat mehr ist? — Dann kann ich die Software nicht »mit allen Rechten« hergeben, sondern muss sie lizensieren. Das ist wiederum die »normale« Herstellersituation bei proprietärer Software, womit das dort Gesagte auch hier zutrifft. Das heisst, die bürgerliche Gesellschaft spiegelt genau den qualitativen Übergang von Eins (Unikat, alle Rechte abtreten) zu Viele (Universalgut, Lizensierung) rechtsförmig wider.

Was ist, wenn ich z.B. auf eine individuelle Bibliothek zurückgreife und beim Kunden die Software zusammensetze? — Dann habe ich vielleicht einen Geschwindigkeits- und evtl. Konkurrenzvorteil, aber wenn ich ein Unikat herstelle, dann gilt das zum Unikat Ausgesagte.

Was ist, wenn die Software in Hardware implementiert wird, sie also auch physisch Teil der Maschine ist? — Wenn nur die Hardware verkauft wird und die Software darin nicht zugänglich ist, dann handelt es sich um ganz normale Waren. Beispiel: Bremssysteme, die zu 99,9% aus Software bestehen, aber so mit der Hardware verkoppelt ist, dass kein »Download« möglich ist. Das ist auch der Wunschtraum der Contentprovider: Den Content wieder mit der Hardware zu verschweissen, ihn wieder zu re-analogisieren (auch wenn die Maschine intern digital ist), zurück zur guten alten Ware des Fordismus. Das wird es IMHO nicht geben.

Es gibt sicher noch ein paar mehr Zwischenformen, die sich mehr oder weniger deutlich zuordnen lassen. Auch hierbei ist es wichtig, nicht an der Beispielebene kleben zu beiben (klar kann man Beispiele diskutieren, aber die stehen nicht selbst für eine Aussage). Wenn ich behaupte, dass mit den Universalgütern, insbesondere mit jenen digitaler Form, eine wertsubstanzlose Güterklasse aus einer ehemals wertsubstanzhaltigen Güterklasse entstanden ist, dann muss es Zwischenformen geben. Da der historische Prozess an dieser Stelle unidirektional verläuft (es wird kein zurück hinter die digitale Form mehr geben), würde ich auch eher von Übergangsformen sprechen.

Und auch hier haben wir es mit einem klassischen Entwicklungssprung zu tun, den man bestimmt nach dem Fünfschritt analysieren konnte. Ohne das jetzt hier durchziehen zu können, denke ich, dass wir uns mitten im Dominanzwechsel (4. Schritt) weg von singulären hin zu universellen Gütern befinden. Klarerdings gilt das »nur« für den Bereich von Wissen, Information, Kultur, Software etc. Hier wäre auszubuchstabieren, was ein Dominanzwechsel im Bereich der nichtstofflichen Güter im Hinblick auf stoffliche Güter bedeutet, wie und unter welchen Bedingungen also im fünften Schritt sich ein neues System produktiver Beziehungen ausbildet. — Na ja, nur laut nachgedacht.

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