Ums Ganze — oder Sandkasten?

Inzwischen befürchte ich ja fast, dass der »Ums-Ganze«-Kongress (7.-9.12.2007 in Frankfurt/M., vgl. Kongress-Website) nicht viel Neues bringen wird, sondern darin besteht, sich Alt(bekannt)es jeweils gegenseitig nur noch mal vorzustellen. Jede/r hat so ihre Position, und für die Emanzipation ist nicht die Praxis maßgeblich, sondern dass die eigene richtige Position sich im Raum der Gedanken durchsetzt.

Das muss ich jetzt auch persönlich erleben als jemand der zum Thema »Ware Wissen« als Teilnehmer eingeladen wurde. Ich habe mich entschieden, folgenden Brief- bzw. Mailwechsel öffentlich zu machen — auch, weil ich schlicht keine Reaktion auf meine Einwände erhielt. Aber lest selbst.

Brief der Gruppe »Zlatan Orek« (im proprietären DOC-Format) vom 26.10.2007

Lieber Stefan Meretz

unsere Gruppe, Zlatan Orek aus Berlin, hat für den „No way out?“ Kongreß vom 7.-9. Dezember in Frankfurt/M die Moderation einer Veranstaltung übernommen. Sie sollte ursprüngliche „Ware Wissen“ heißen und wurde von uns auf „Immaterielle Arbeit“ umgetauft. Der Grund erklärt sich aus dem Kongreß selbst. Auf dem Kongreß soll es ja – in einer Art Selbstverständigung – um die zwei vielleicht einflußreichsten Theorien der letzten Jahre innerhalb der radikalen Linken gehen, um die Wertkritik und den Post-Operaismus. Da am Freitag in zwei zentralen Veranstaltungen eine Einführung in die zwei Diskurse gegeben wird und am Samstag dann ihre zentrale Begriffe anstehen (Arbeit, Krise u. Ä.), hielten wir den Begriff der immateriellen Arbeit für angemessener als „Ware Wissen“.

So nimmt der Begriff der immateriellen Arbeit nicht nur eine zentrale Stellung im Post-Operaismus ein, er löst in gewisser Weise auch den Begriff der abstrakten Arbeit ab – denjenigen Begriff also, der in der Wertkritik eine zentrale Stellung einnimmt. Hier kreist die Bestimmung des Werts weiterhin um den Begriff der abstrakten Arbeit als der gesellschaftlichen Substanz des Werts, wenn auch in Abwendung vom traditionellen Marxismus und unter anderen Vorzeichen. Dagegen ist etwa für Negri und Hardt der Begriff der abstrakten Arbeit geradezu hinfällig geworden. In Empire fordern sie nicht weniger als eine „neue Ontologie der Arbeit“ sowie eine „neue, politische Werttheorie“, die auf Wissen, Kommunikation und Sprache gegründet wird – eben auf immaterielle Arbeit. Auch andere zentrale Begriffe des Post-operaismus wie General Intellect, Multitude und Massenintellektualität kreisen um den Begriff der immateriellen Arbeit, von dessen Entwicklung zudem eine „neue Theorie der Subjektivität“ erwartet wird. Er steht damit geradezu im Gegensatz zum Begriff der abstrakten Arbeit, der im weitesten Sinne gerade auf eine subjekt-lose, jedenfalls bewußtlos-blinde Konstitution von gesellschaftlicher Objektivität abstellt. Kurzum, wir halten den Begriff der immateriellen Arbeit für geeignet, die auf dem Kongreß beabsichtigte Auseinandersetzung zwischen Wertkritik und Post-Operaismus auszutragen.

Uns ist bekannt, daß Du ursprünglich unter dem Titel „Ware Wissen“ eingeladen wurdest. Vielleicht kannst Du dein Referat entsprechend der leicht geänderten Ausrichtung ausrichten, zumal die Vorgaben von Seiten der Kongreß-Organisatoren relativ leicht zu erfüllen sind. Es soll ein 10-15 minütiges, thesenartiges Referat geben, das an ein interessiertes und vorwiegend nicht-akademisches und jüngeres Publikum gerichtet ist. Inhaltliche Vorgaben werden nicht gemacht, aber es soll eher um eine Begriffsklärung als um eine inhaltliche Auseinandersetzung verschiedener Positionen und Theorien gehen, am besten mit aktuellen Beispielen und Bezügen auf die politische Praxis. Einzige inhaltliche Vorgabe unsererseits wäre, das Referat am Begriff der immateriellen Arbeit zu orientieren. Das könnte z.B. heißen, deine Überlegungen aus der Krisis Nr. 31 zum Universal-Gut als ein Beispiel anzuführen für das, was im Postoperaismus unter immaterieller Arbeit verstanden wird. Das könnte auf kritische Anmerkungen aus wertkritischer Sicht hinauslaufen (etwa auf die Anmerkung, daß die Wertdimension hier gar keine Rolle mehr spielt), oder es könnte auf die Prüfung hinauslaufen, ob die emphatischen Erwartungen an diese neue Form der Arbeit und die neue Subjektivität berechtigt sind.

Wir würden in einem Einleitungsreferat eine erste Einführung in den Begriff geben, einerseits negativ, durch Abgrenzung zum marxschen Begriff der abstrakten Arbeit, andererseits durch den Versuch einer positiven inhaltlichen Bestimmung, wie er von Negri, Hard, Virno, Lazzarato und anderen gegeben wurde. Da die Einführung von uns geleistet werden wird, wäre es sinnvoll, wenn die Referenten ihre Bestimmung des Begriffs dann gleich mit einer Einschätzung und Kritik verbinden würden, etwa im Sinne folgender Stichpunkte

  • Worin liegen Aktualität und Berechtigung des Begriffs?
  • Wo liegen seine Probleme, z.B. aus wertkritischer Perspektive?
  • Wie verhält sich die immaterielle Arbeit zu anderen Arbeitsbegriffen, insbesondere zur abstrakten Arbeit?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich aus der immateriellen Arbeit für „unsere“ Subjektivität und für die politische Praxis?

Wir würden anschließend kurze Rückfragen und Verständnisfragen des Publikums an die Referenten und dann eine Diskussion vorschlagen. Die Diskussion würde sowohl innerhalb des Podiums als auch mit dem Publikum stattfinden, das ganze könnte dann eher einen Work-Shop-Charakter annehmen. Jedenfalls würden wir durch unsere Einleitung die Diskussion insofern vorbereiten, als wir unsere Bestimmung der immateriellen Arbeit mit zwei Fragen verbinden wollen: Erstens, was wird im Post-Operaismus eigentlich unter dem Begriff der abstrakten Arbeit verstanden, und zweitens, warum wird er als Abgrenzung und Erweiterung verstanden, mehr noch, warum wird eine „völlig neue Werttheorie“ und eine „Theorie neuer Subjektivität“ gefordert? Vielleicht kann dein Referat ja im Hinblick auf die Diskussion diese Fragen berücksichtigen…

Für die Veranstaltung war ursprünglich noch Lars Bretthauer vorgesehen, der aber wegen eines anderen Termins absagen mußte. Nun wird voraussichtlich Frieder Otto Wolf für ihn einspringen; das Podium wird damit vollständig sein. Die Veranstaltung wird am Samstag, den 8.12. 2007 in Frankfurt/M stattfinden, die genaue Zeit steht noch nicht fest.

Die Kongreß-OrganisatorInnen bitten außerdem darum, ihnen ein Abstract des Referats bereits zwei Wochen vor dem Kongreß zukommen zu lassen. Es soll einerseits als Grundlage für die Ankündigung im Programmheft dienen, andererseits soll eine Art Broschüre aus all den Abstracts erstellt werden, die auf dem Kongreß ausliegen wird und der Orientierung und Vorbereitung dienen soll. Wir würden das Abstrakt zudem als Grundlage nehmen, um uns auf die Diskussion vorzubereiten und in unserem Einleitungsreferat einerseits Überschneidungen mit dem Referat zu vermeiden, andererseits eine Hinführung vorzunehmen.

Zum Schluß noch das Organisatorische.

(…)

Mit besten Grüßen,

Zlatan Orek

Meine Mail vom 11.11.2007: »ums ganze – euer Brief vom 24.10.2007«

[cc: Frieder Otto Wolf]

Liebe Gruppe Zlatan Orek,

über Umwege hat mich euer Brief (…) zur Gestaltung der Veranstaltung zur „Ware Wissen“ auf dem „Ums-Ganze-Kongress“ erreicht. Ihr schlagt vor, Titel und Inhalt der Veranstaltung zu verändern und begründet das ausführlich. Dazu will ich nun Stellung nehmen und meinerseits einen Vorschlag unterbreiten.

(1) Ihr schlagt vor, den Begriff „immateriellen Arbeit“ als Titel und Thema zu verwenden, da ihr „den Begriff der immateriellen Arbeit für angemessener als „Ware Wissen““ haltet. Zunächst mal haben beide Begriffe nichts oder nicht viel miteinander zu tun. Es handelt sich bei eurem Vorschlag also nicht um eine „leicht geänderte(n) Ausrichtung“, sondern um einen Themenwechsel. Mit diesem Themenwechsel bin ich nicht
einverstanden.

(2) In der Begründung erläutert ihr, dass im Postoperaismus der Begriff der „immateriellen Arbeit … in gewisser Weise auch den Begriff der abstrakten Arbeit“ ablöst. Es mag sein, dass das aus Sicht des Postoperaismus der Fall ist. Das spielt hier jedoch keine Rolle, denn Thema war die „Ware Wissen“. Mit der Entgegensetzung von immaterieller und abstrakter Arbeit geht die Begründung daran jedoch vorbei.

(3) Mit der „immateriellen Arbeit“ Arbeit schlagt ihr einen dezidiert postoperaistischen Begriff vor. Es handelt sich damit also nicht nur um einen einfachen Themenwechsel, sondern zusätzlich um einen Wechsel der Diskursform: Weg von der Verständigung über ein Thema (Ware Wissen) aus postoperaistischer und wertkritischer Perspektive hin zur Abarbeitung an einem dezidiert postoperaistischen Konzept. Damit bin ich schon gar nicht einverstanden. Es wird dem Charakter des Kongresses nicht gerecht.

(4) Der Themen- und Diskursformwechsel geht ferner auch deshalb nicht, weil es inhaltlich auch keineswegs angemessen ist, den Begriff der abstrakten Arbeit durch den Begriff der immateriellen Arbeit abzulösen. Das mag eure Sicht sein, meine ist es nicht. Der Begriff der „immateriellen Arbeit“ hat einen völlig anderen kategorialen Status als der Begriff der „abstrakten Arbeit“. Aus meiner Sicht werden Äpfel keineswegs durch Birnen abgelöst, sondern es sind zwei verschiedene Sorten Obst. Kurz: Ich teile eure inhaltliche Begründung auch nicht. Dazu wäre mehr zu sagen, aber das kann dann Teil der Debatte sein – allerdings bitte auf Grundlage eines Themas, dass aus zwei Perspektiven in die Betrachtung genommen wird und nicht in Abarbeitung an *einer* der beiden (aus meiner Sicht zudem: verfehlten) Perspektiven.

(5) Ich bin auch mit der Gestaltung des Workshops nicht einverstanden. Ich bin zu einem Podium eingeladen worden, bei dem es um das Thema „Ware Wissen“ gehen und das aus postoperaistischer und wertkritischer Perspektive aufgeschlossen werden soll. Eines Einleitungsreferates jenseits der beiden Podiumsteilnehmer bedarf es nicht, da die beiden Referenten dazu da sind, den inhaltlichen Input zu liefern. Nun dürfen wir nurmehr die Rolle von Kommentatoren spielen. Das stellt die ursprüngliche Intention auf den Kopf.

(6) Mein Vorschlag ist recht schlicht: Wir lassen es bei dem Thema „Ware Wissen“. Ihr entwickelt an diesem Thema das inhaltlich, was euch bedeutsam erscheint. Ich nehme an, der Begriff der immateriellen Arbeit wird eine wichtige Rolle spiele – in eurem Brief habt ihr das ja schon skizziert. Dieses trägt eine Person (FOW?) als Podiumsbeitrag vor. Ich werde genauso verfahren und die mir wichtigen Punkte entwickeln. Dann können wir in der Diskussion im Plenum nach Vermittlungspunkten suchen, Differenzen fixieren, Handlungsformen erwägen etc.

(7) Ich komme aus der Bewegung Freier Software. Dort gibt es ein basales Feature, dass mit dazu beiträgt, dass so ein Phänomen wie Freie Software jenseits der Warenform überhaupt funktionieren kann, und das ist Transparenz. Wenn ihr also nichts dagegen habt, möchte ich gerne unsere vorbereitende Diskussion öffentlich machen (sprich: ins Web stellen). Öffentlichkeit ist immer auch ein gewisser Schutz der schwächeren Position, und in der fühle ich mich durchaus. Ich hoffe gleichwohl auf eine Verständigung. Mir wäre es auch angenehm, wenn ich es mit konkreten Menschen zu tun hätte und nicht mit einer für mich abstrakten Gruppe.

Herzliche Grüße,
Stefan

Keine Antwort ist auch eine Antwort

Mehr als eine Woche ist seit meiner Mail vergangen und keine Reaktion erfolgte. Wie denn jetzt? Geht’s jetzt weiter oder nicht? Zieht die Gruppe durch oder nicht? Soll ich das als unfreundliches Hinauskomplimentieren interpretieren? Ist eine (vielleicht auch nur kurze Reaktion) zu viel verlangt? Oder ist das Usus in linken Gruppen? Oder Resultat der Offline-Orientierung?

Die Vorbereitungszeit wird knapp. Ich soll zwei Wochen vor dem Kongress ein Abstract abliefern, was noch diese Woche wäre — wie soll das gehen? Ich will schon gerne zu diesem Kongress fahren und etwas beitragen, aber ich habe keine Lust, bloß den Kommentator zu einer schlechten Inszenierung zu spielen.

Wie ich von anderen Referenten mitbekam, haben auch andere mit dem gleichen Affront zu tun. Ich bin wohl schon so weit aus der linken Szene draußen, dass ich das einfach nicht nachvollziehen kann. Aber ich kann mich an diese Praxen noch sehr gut aus meiner Unizeit erinnern, und vermutlich habe ich das selbst ein Gutteil dazu beigetragen. Dass damit die strukturelle Logik der Warengesellschaft, sich nur auf Kosten anderer durchzusetzen, reproduziert wird, habe ich erst durch die doch sehr andere Praxis der Freien Softwarebewegung kapiert (ohne diese selbst zu idealisieren).

An solchen Stellen mutmaße ich schnell, dass Inhalt und Form der Theorie etwas mit den Defiziten der Praxis zu tun hat. Aber das geht vielleicht zu weit.

Mehr zum Kongress an mehr oder weniger substanziellen Diskussionen hier: 1|2|3|4

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