Materielle Peer-Produktion — Teil 0: Merkmale der Peer-Produktion

Buch-Cover[This is the German translation of the original English article.]

Ist es möglich, die Peer-Produktion in die physische Welt auszuweiten und materielle Güter und Dienstleistungen auf die gleiche Weise zu produzieren wie Freie Software und offenes Wissen? Ist es möglich, dass Peer-Produktion zur primären Produktionsweise wird und damit Märkte und den Kapitalismus überflüssig macht? In meinem „Peerconomy„-Buch argumentiere ich, dass dies in der Tat möglich ist und diskutiere wie es umgesetzt werden kann. Dieser Beitrag ist der erste Teil einer kurzen Artikel-Serie, in denen die Kernideen meines Konzepts erklärt werden. Sie wurde ausgelöst durch eine Diskussion auf der englischsprachigen Oekonux-Liste. Dieser Artikel dokumentiert meine erste Mail.

Michael Bauwens schrieb:

»Nach meiner Interpretation ist nicht-reziproke Peer-Produktion im Bereich der physischen Produktion per Definition unmöglich, mit Ausnahme der offenen Design-Phase. […]

Was hierbei entscheidend ist: Peer-to-Peer ist durch die nicht-reziproke Logik der kommunalen Teilhabe charakterisiert, wie sie in der relationalen Grammatik von Alan Page Fiske beschrieben wird: freie Beiträge, freie Verfügbarkeit.«

Nun, wenn du die bedingungslose „freie Verfügbarkeit“ der produzierten Güter zur Bedingung der Peer-Produktion machst, dann ist, wie du ja selbst sagst, materielle Peer-Produktion per Definition unmöglich. Ein Projekt, das Software herstellt, kann die Software für alle, der sie haben wollen, frei verfügbar machen, da dies keine zusätzlichen Kosten bedeutet. Das gleiche gilt für ein Projekt, das Baupläne für Fahrräder entwirft. Aber ein Projekt, das richtige Fahrräder produziert wird kaum in der Lage sein, so zu verfahren (selbst wenn sie das versuchen würden): früher oder später würden ihnen die Ressourcen ausgehen, oder die Menschen, die die Fahrräder zusammenbauen, würden das Interesse verlieren und damit aufhören, immer mehr Fahrräder für andere zu produzieren.

Mit dieser Definition ist Peer-Produktion also nur für Güter möglich, die frei kopiert werden können. Sie könnte nur dann auf die materielle Produktion ausgedehnt werden, wenn die materiellen Güter selbst irgendwie frei kopiert werden könnten. Deshalb bleiben dann nur „persönliche Fabrikatoren“ (Fabber) als einzige Hoffnung für materiellen Peer-Produktion, da sie versprechen, materielle Güter genauso einfach reproduzierbar zu machen wie Information. Aber obwohl die Entwicklungen in diesem Bereich interessant sind, wäre dennoch ein riesiger technischer Durchbruch erforderlich, um diese Hoffnungen Realität werden zu lassen. Persönliche Fabrikatoren müssten nicht nur extrem vielseitig sein, um alle (oder die meisten) benötigten materiellen Güter herstellen zu können, sondern sie müssten auch irgendwie für jede/n frei verfügbar sein; zudem müssten die benötigten Ressourcen auch irgendwie frei verfügbar gemacht werden. Anderenfalls gäbe es immer noch keine materielle Peer-Produktion, die das Kriterium der „freien Verfügbarkeit“ erfüllt, und diejenigen, die nicht reich genug sind, um einen Fabber und die notwendigen Ressourcen zu erwerben, hätten nach wie vor Pech gehabt.

Aber ist das wirklich der einzige Weg? Yochai Benkler, der den Begriff „Peer-Produktion“ geprägt hat, benutzt ihn in einer Weise, der mit deiner Definition nicht ganz übereinstimmt. Zum Beispiel nimmt Benkler auch Peer-to-Peer-Verteilnetzwerke wie BitTorrent als Beispiele für Peer-Produktion (allerdings könnte in diesem Fall „Peer-Distribution“ die geeignetere Bezeichnung sein). Aber BitTorrent basiert nicht auf einer nicht-reziproken und bedingungslosen Verfügbarkeit — stattdessen wird von einem erwartet, dass man etwas zum gemeinsamen Ziel (effiziente Verteilung von Dateien) beträgst: je mehr Bandbreite man als Upload beisteuerst (was es anderen ermöglicht, die gewünschten Dateien zu bekommen), desto mehr Bandbreite erhält man für den Download (was es einem selbst ermöglicht, die gewünschten Dateien zu bekommen).

Benkler betrachtet auch verteilte Rechenprojekte wie SETI@home oder Folding@home als Peer-Produktion. Zwar sind eventuelle Ergebnisse solcher Projekte tatsächlich frei, doch typische Teilnehmer werden mit ihnen vermutlich wenig anfangen können. Worauf es hier anzukommen scheint, ist also weniger die freie Verfügbarkeit des Outputs, sondern vielmehr die Kooperation zur Lösung eines gemeinsamen Problems oder zum Erreichen eines gemeinsamen Ziels (sei es wissenschaftlich, humanitär oder einfach nur unterhaltsam).

Was ist es dann, was diese verschiedenen Arten von Peer-Produktion gemeinsam haben?

Ein erster wichtiger Punkt, den Benkler betont, ist dass er Peer-Produktion als dritte Produktionsweise betrachtet, die sich fundamental von „Marktwirtschaft“ und „Planwirtschaft“ (oder „Firmenproduktion“) unterscheidet. Märkte basieren auf Äquivalententausch (kaufen und verkaufen), während sowohl kapitalistische Firmen wie auch die so genannten „sozialistischen“ Planwirtschaften (wie die Sowjetunion) hierarchische Planungsprozesse verwenden, um Aufgaben und Ressourcen zu verteilen. Wen man etwas produzierst, um es auf dem Markt zu verkaufen, oder wenn die Produktion einem hierarchischen Planungsprozess folgt, findet keine Peer-Produktion statt — Dmytris Vorschlag ist aus dem Rennen.

Aber eine negative Defintion ist noch nicht genug. Welche positiven Merkmale haben die verschiedenen Formen der Peer-Produktion gemeinsam? Mir scheint, es gibt mindestens drei:

  1. Peer-Produktion basiert auf Beiträgen (nicht auf Tausch). Peer-Projekte haben ein gemeinsames Ziel (Software herstellen, Inhalte teilen, Außerirdische entdecken, o.ä.), und jede Teilnehmer/in trägt in der einen oder anderen Weise etwas zu diesem Ziel bei. Menschen tragen etwas zu einem Projekt bei, weil sie wollen, dass es erfolgreich ist, nicht weil sie Geld verdienen oder ihr Geld vermehren wollen. Es ist der Gebrauchswert und nicht der Tauschwert, der die Teilnehmer motiviert. Manchmal sind die Beiträge mit einen Nutzen verknüpft (wie im Fall von BitTorrent) und manchmal nicht (wie im Fall Freier Software), aber in jedem Fall wird der Aufwand zur Erreichung des gemeinsamen Ziels unter denen aufgeteilt, denen das Projekt hinreichend wichtig ist, um etwas dazu beitragen. Das ist Grund, weswegen ich für diese Produktionsweise auch den Begriff „Aufwandsteilung“ verwende.
  2. Peer-Produktion basiert auf freier Kooperation (nicht auf Zwang oder Befehl). Niemand kann anderen befehlen, etwas zu tun, und niemand ist gezwungen, anderen zu gehorchen. Das bedeutet nicht, dass es keine Strukturen gäbe — im Gegenteil, für gewöhnlich gibt es Maintainer oder Admins, die beispielsweise darüber entscheiden, welche Beiträge angenommen und welche abgelehnt werden. Aber niemand kann andere dazu zwingen, etwas zu tun, das sie nicht tun wollen. Zudem ist man niemals gezwungen, die bestehenden Strukturen so zu akzeptiert wie sie sind. Wenn Teilnehmer/innen eines Projekts mit bestimmten Aspekten des Projekts unzufrieden sind, können sie versuchen, die anderen davon überzeugen, sie zu verändern. Und wenn das scheitert, dann können sie das Projekt immer noch forken: sie können sich von den anderen trennen und ihr eigenes Ding machen. Diese Abwesenheit von Zwang und Befehl ist wahrscheinlich der Grund, warum Benkler von Kooperation zwischen Gleichen, zwischen „Peers“, spricht.
  3. Peer-Produktion basiert auf Commons (Gemeingütern) und Besitz (nicht auf Eigentum). Benkler spricht von „Commons-basierter Peer-Produktion“, um die wichtige Rolle der Commons (Güter und Ressourcen ohne Eigentümer, die die Nutzung kontrollieren könnten) zu betonen. Ganz allgemein spielen Commons wie Freie Software oder offenes Wissen eine wichtige Rolle als Input oder Output (oder beides) von Peer-Projekten.
    Wo die Dinge nicht Commons sind, sind sie als Besitz (etwas, das benutzt werden kann) von Bedeutung, nicht als Eigentum (etwas, das verkauft werden kann). In heutigen Peer-Projekten sind Ressourcen wie Rechenleistung und Internetzugang typischerweise im Privatbesitz, aber sie zum Erreichen der Projektziele werden eingesetzt oder geteilt, nicht zum Erzielen eines finanziellen Gewinns. Und wie schon erwähnt ist die Teilnahme an Peer-Projekten durch den Gebrauchswert und nicht durch den Tauschwert motiviert: Güter werden hergestellt, um sie zu benutzen (als Commons oder Besitz), nicht um sie zu verkaufen (als Eigentum).

Wenn wir die Peer-Produktion auf die materielle Produktion ausdehnen wollen, dann müssen diese Merkmale erhalten bleiben. Wie das gehen kann, diskutiere ich in meinem Buch „From Exchange to Contributions“ im Detail. Ich werde auf dieser Mailingliste einen kurzen Überblick geben. Doch das Thema ist zu komplex für eine einzelne Mail, daher wird es drei weitere Mails geben, je eine zu jedem der drei Merkmale.

Nächster Teil: Aufwandsteilung.

[Übersetzt von Stefan Meretz – Danke an Stefan für die Übersetzung!]

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