14 Thesen zum Urheberrecht

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  1. Musiker, Texter, Filmschaffende und andere Kreative sind auf ihr Publikum angewiesen. Ohne ihr Publikum wären sie nichts. Unter kapitalistischen Bedingungen sind sie aber ebenso darauf angewiesen ihr Publikum selektiv auszuschließen, wenn sie von ihrem Schaffen leben wollen – was sie müssen, wenn sie sich ganz auf ihr Schaffen konzentrieren wollen. Dabei handelt es sich um eine grundsätzliche Selbstfeindschaft der professionellen Kreativen, die unter kapitalistischen Bedingungen nicht zu verhindern ist. Diese Selbstfeindschaft ist dem Leben im Kapitalismus generell eigen, doch ist sie selten so unmittelbar wirksam wie bei den professionell Kreativen.

  2. In der industriellen Periode war es die Aufgabe von Verwertungsgesellschaften und Verwertungsindustrien diese Selbstfeindschaft zu organisieren. Der massenhafte Verkauf von Tonträgern und ähnliches ermöglichte es den Kreativen mit der Masse zu kommunizieren und trotzdem zu selektieren. Durch diese Versöhnung der Selbstfeindschaft konnte der weiterbestehende Widerspruch zwischen dem notwendigen Wunsch der Kreativen nach Publikum und dem ebenso notwendigen Ausschluss von Teilen des Publikums verdeckt werden.

  3. Die universelle Verfügbarkeit einer digitalen Kopiermaschine – also des Internets – macht diese Versöhnung nun unmöglich. Die Masse tritt über das Internet direkt in Kontakt mit den Kreativen und ihren Werken. Die vorher verdeckte und versöhnte Selbstfeindschaft wird nun wieder sichtbar.

  4. Historisch im selben Moment werden die Kreativen vom Rand der Wertschöpfung in ihr Zentrum befördert. Inzwischen ist global mehr als die Hälfte der globalen Wertschöpfung abhängig von Immaterialgüterrechten (von denen das Urheberrecht nur ein Teil ist, allerdings der Teil, der am unmittelbarsten durch die allgegenwärtige Kopie betroffen ist). Damit wird die Selbstfeindschaft der Kreativen systemrelevant (Im Gegensatz zur ebenso unausweichlichen Selbstfeindschaft aller anderen).

  5. Die Natur der digitalen Kopie stellt die zeitgenössischen Gesellschaften vor eine digitale Wahl. Eine Information, die einmal in der Welt ist, ist grundsätzlich nicht mehr rückholbar. Auf diese Situation können die Gesellschaften mit zwei grundsätzlich unterschiedlichen Optionen reagieren: Entweder verstärken sie die Repression bis hin zu einer Marginalisierung von Bürgerrechten um die Natur der digitalen Kopie massiv einzuschränken oder sie leben mit den Folgen dieser neuen Situation, das bedeutet insbesondere: Unmöglichkeit von Zensur und Jugendschutz wie wir ihn heute kennen und Unmöglichkeit der Durchsetzung von Urheber-, Verwertungs- und Persönlichkeitsrechten. Einen Mittelweg gibt es nicht, weil die Repression tendenziell immer stärker werden muss, wenn sie wirksam bleiben soll – eben wegen der Unrückholbarkeit von Kopien. Jeder Repressionsmechanismus kann umgangen werden und es reicht ihn einmal zu umgehen, damit alle etwas davon haben. Das bedeutet, dass jeder Repressionsmechanismus in sich weitere verschärfte Repression trägt. Das gilt auch für die Kulturflatrate, die nur ein Versuch ist das gescheiterte Versöhnungsmodell der industriellen Epoche zu verlängern. Es gibt keine Möglichkeit einer Kulturflatrate ohne Datenschutzkatastrophe und flächendeckende Überwachung.

  6. Die digitale Wahl ist also nicht nur eine, die einen kleinen Teil der Gesellschaft betrifft (die Kreativen), sondern sie berührt den Kern unserer Wirtschaftsweise und ist eine der zentralen Zukunftsfragen. Deswegen wird die Auseinandersetzung auch immer schärfer. Parteien werden eigens zu diesem Thema gegründet und Strafen, die jedes bisher bekannte Maß sprengen, werden verhängt. Nicht zuletzt ist die globale Durchsetzung von Immaterialgüterrechten eine der zentralen Begleiterscheinungen der Globalisierung.

  7. In diesem Streit finden sich auf der einen Seite die Piraten – seien sie jetzt parteimässig organisiert oder nicht: Sie treten ein für die digitale Kopie, für Bürgerrechte und Datenschutz, für Open Source und Creative Commons und gegen ausufernde Repression und Kontrolle. Die Piraten rekrutieren sich zum großen Teil aus IT-Arbeitern (und solchen die es werden wollen). Aber auch aus Kreativen, die die Chancen der digitalen Kopie für ihr Remix-Schaffen verstanden haben. Das ist kein Zufall. Die IT-Arbeiter und Kreativen sind es, die die größte Kopiermaschine in der Geschichte der Menschheit – das Internet – am laufen halten. Sie haben die Natur der digitalen Kopie verinnerlicht weil ihr Alltag einer des Kopierens ist. Deswegen haben sie die digitale Wahl verstanden – wenn auch oft nur intuitiv.

  8. Auf der anderen Seite finden sich die Verwerter: Konzerne, die von geistigen Monopolrechten leben. Software-, Musik- und Filmindustrie, Verlage sowie die staatliche Law-and-Order-Fraktion sowie der Teil der Kreativen, die ihre Interessen mit denen der Verwerter verknüpft haben. Sie treten ein für mehr Kontrolle, Einschränkung digitaler Bürgerrechte, schärfere Verfolgung von Kopisten, mehr „geistiges Eigentum“. In diesem Kampfbegriff findet sich ihre ganze Strategie wieder: Ein gesellschaftlich bereits als Konsens durchgesetzes Regime starken Privateigentums soll analog auf Bereiche übertragen werden, in denen es bisher nicht oder nur stark eingeschränkt gilt.

  9. Nur weil es diesen gesellschaftlichen Konsens gibt, heißt das nicht, dass das uneingeschränkte Privateigentum in der analogen Sphäre naturgegeben wäre. Tatsächlich ist es immer umkämpft gewesen, was dem kapitalistischen Privateigentum unterworfen wurde und was nicht. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte der oft gewaltförmigen „Enclosure of the commons“ – Der Einhegung der Gemeingüter. Der Streit ums Urheberrecht ist genau so ein Streit um die Commons. Darin ähnelt er dem Streit ums Klima oder um die Nahrungsgrundlagen und vielen anderen sozialen Auseinandersetzungen weltweit.

  10. Die Struktur der Öffentlichkeit ändert sich dank der planetaren Kopiermaschine. Weg von einer repräsentativen Diskussionsöffentlichkeit hin zu Inspirationsclustern. Die digitalen Commons sind eine wichtige Triebkraft dieser Entwicklung und umgekehrt ist es diese neue Form der Öffentlichkeit, die eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Kampf um die digitale Wahl spielt.

  11. Der Streit ums Urheberrecht ist also auf dreifache Weise einer um die Zukunft der Gesellschaften als Ganzes:

    1. Immaterialgüterrechte mit den Urheberrechten als Speerspitze sind extrem wichtig für die Aufrechterhaltung des globalisierten Kapitalismus.

    2. Der Kampf um die Struktur der Öffentlichkeit („Dialektik des Datenschutz“) entscheidet sich auch im Feld der Urheberrechte.

    3. Die Urheberrechtsdiskussionen sind Beispielhaft für den Kampf um die Commons und nur gemeinsam können die verschiedensten Kämpfe um die Commons gewonnen werden.

  12. Beide Seiten, Piraten und Verwerter, werden sich früher oder später auf dieser gesamtgesellschaftlichen Ebene wiederfinden. Für die Piraten kann das nur heißen ihren Kampf für Bürgerrechte, Datenschutz und Privatkopie zu einem Kampf um die Commons zu machen – und zwar nicht nur der digitalen Commons. Nur so lässt sich ein neuer überlebensfähiger Modus unserer Gesellschaften finden, der nicht mit immer mehr Repression funktioniert. Das bedeutet aber auch, dass der bei vielen Piraten verbreitete weltanschauliche Liberalismus oder Libertarismus kein marktradikaler mehr sein kann. Dass die marktradikale FDP in Fragen des Urheberrechts nicht auf der Seite der Piraten ist, sondern auf der der Verwerter ist auch kein Zufall.

  13. Die Kreativen sind in dieser Auseinandersetzung das Zünglein an der Waage. Sie können entweder ihre Selbstfeindschaft leugnen und ihr Publikum selektieren und drangsalieren um ihr kurzfristiges Überleben zu sichern oder sie setzen sich an die Spitze der Piraten, kämpfen mit ihnen für die Commons um auf lange Sicht nicht nur ihr Überleben, sondern dass der Menschheit zu sichern.

  14. Für die Piraten heißt das: Den Kreativen die Möglichkeit zum Überleben geben. Es muss darum gehen in den kommenden Jahren der Auseinandersetzung um die digitale Wahl den Kreativen Perspektiven zu geben. Da sind viele Möglichkeiten denkbar, von einer Ausweitung der Künstlersozialkasse bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Aus diesem Grund ist die Piratenfrage auch eine soziale Frage. Für alle diese Übergangslösungen muss aber gelten, dass sie die das Werk zunehmend entkoppeln von der Entlohnung.

  15. Für die Kreativen heißt das: Den Traum vom ganz großen Reichtum aufgeben. Die Zeit der Superstars ist abgelaufen. In den neuen überlappenden Mikroöffentlichkeiten zu Zeiten der universalen Kopie ist kein Platz mehr für Superstars.

(Bildquelle und Lizenz)

 

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