Urheberrecht, links runderneuert

[Nachfolgend dokumentiert ist ein Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE zur Erneuerung des Urheberrechts. Ein Kommentar folgt später]

Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Agnes Alpers, Herbert Behrens, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen, Kathrin Senger-Schäfer und der Fraktion DIE LINKE.

Die Chancen der Digitalisierung erschließen – Urheberrecht umfassend modernisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das geltende Urheberrecht stößt im Zeitalter der Digitalisierung an Grenzen. Den grundsätzlichen Anspruch, Kreativschaffende zu schützen und ihre Vergütung zu sichern, kann es immer weniger einlösen. Zudem wird es den veränderten technischen Gegebenheiten und Akteurskonstellationen einer digitalisierten Gesellschaft nicht mehr gerecht. Ein modernes Urheberrecht sollte sowohl die Urheberinnen und Urheber in ihren Ansprüchen gegenüber den Verwertern stärken als auch den Zugang zu Wissen und Information so regeln, dass dies zum größtmöglichen gesellschaftlichen Vorteil gereicht. Es ist deshalb umfassend reformbedürftig und muss zeitgemäß zwischen Urheber-, Nutzer- und Verwerterinteressen vermitteln. Urheberinnen und Urheber sowie Nutzerinnen und Nutzer sollten dabei soweit wie möglich in die Lage versetzt werden, ihre Interessen und Bedürfnisse eigenverantwortlich wahrzunehmen und miteinander Nutzungs- und Kommunikationsformen für kreative Werke auszuhandeln.

Es braucht einen solidarischen Gesellschaftsvertrag für die digitale Welt.

Der Versuch, die Regulierungsmodalitäten der analogen Welt auf die digitale zu übertragen, kann nicht gelingen. Der grundsätzliche Unterschied zwischen unendlich vervielfältigbaren Immaterialgütern (wie Dateien) und im Vergleich dazu nur begrenzt verfügbaren Sachgütern (wie Bücher, CDs) muss bei der Weiterentwicklung eines Urheberrechts, das im digitalen Raum funktionieren soll, stärker als bisher bedacht werden. Dass die Vervielfältigung und Verbreitung von Kultur- und Wissensgütern auf dem digitalen Wege durch Kopiervorgänge ohne Qualitätsverlust beim Werk und auf der Grundlage bestehender Hardware quasi kostenfrei erfolgt, bringt eine neue Qualität in die urheberrechtliche Debatte. Die weiter bestehenden Produktionskosten kreativer Werke können so immer schwieriger über den Verkauf von Werkstücken refinanziert werden. Besonders für die Rolle der Werkmittler, etwa Medienunternehmen, Labels, Verlage oder Handelsunternehmen, stellen diese Veränderungen eine Herausforderung dar.

Kreatives Schaffen, Wissensproduktion und Kunst leben von der Kommunikation, von der Inspiration und Interpretation. Werknutzung ist keine Gefahr für die Kreativen, sie ist zentrale Voraussetzung für die Verbreitung und Anerkennung von Kreativität. Die Weiterentwicklung des Urheberrechts sollte einen Anreiz für kreative Leistungen schaffen.

Der Begriff „Geistiges Eigentum“ wird von vielen Künstlerinnen und Künstlern als Synonym für die ideelle und materielle Anerkennung ihrer persönlichen Leistung verstanden. Zugleich werden mit ihm Verbots- und Ausschlussrechte der Medienindustrie gegenüber Nutzerinnen und Nutzern begründet. In der Debatte um ein zukunftstaugliches Urheberrecht sollte deswegen der Begriff unter Beachtung seiner unterschiedlichen rechtlichen Bezugspunkte differenziert verwendet werden: diese bestehen im Wesentlichen in Persönlichkeits- und Verwertungsrechten.

Im Zuge der Industrialisierung des Kultur- und Medienbetriebes, damit einhergehenden Konzentrationen und veränderten Machtverhältnissen hat das Urheberrecht eine dominant verwertungsorientierte Komponente erhalten. Zuletzt hat der sogenannte Zweite Korb der Urheberrechtsnovellierung das Kräfteverhältnis weiter zu Ungunsten der Urheberinnen und Urheber verschoben.

Deshalb müssen die Urheberpersönlichkeitsrechte jetzt gegenüber den Verwertungsinteressen durchsetzungsstärker ausgestaltet werden. Dies gilt insbesondere für die Anerkennung der Urheberschaft und das Recht auf Namensnennung. Zugleich muss der Anspruch der Urheberinnen und Urheber auf eine angemessene Vergütung rechtlich gestärkt werden. Insbesondere ist das Urhebervertragsgesetz durchsetzungsfest zu gestalten.

Ausschließlichkeitsrechte, die den Zugriff auf geschützte Werke reglementieren, können nach einer ersten Veröffentlichung schon immer nur durch die Kontrolle der Werkträger – Bücher, Zeitschriften, CDs – durchgesetzt werden. In Zeiten digitaler Verbreitungsformen wird auch die Kontrolle über den Werkträger schwieriger und könnte nur durch weitgehende Eingriffe in Nutzer- und Bürgerrechte durchgesetzt werden. Die Vorstöße dazu, etwa zur Einführung von Internetsperren, Kopierschutzmaßnahmen oder drakonischen Strafen, beeinträchtigen jedoch den libertären Charakter digitaler Medien und widersprechen grundlegenden Rechten der Informationsfreiheit. Sie helfen weder den Urheberinnen und Urhebern noch den Nutzerinnen und Nutzern kreativer Werke.

Dazu ist unumstritten, dass der Bezug eines Werkes zur Urheberin oder zum Urheber mit der Zeit schwächer und das Werk immer mehr kulturelles Allgemeingut wird – insbesondere nach dem Tod der Urheberin oder des Urhebers. Das Ausschließlichkeitsrecht war deshalb immer zeitlich begrenzt. Bei der Formulierung eines zeitgemäßen Urheberrechts muss ausgehandelt werden, wie die Interessen der Urheberinnen und Urheber sowie der Allgemeinheit unter Berücksichtigung technischer Begebenheiten sinnvoll vermittelt werden können. Das Vergütungsrecht muss eine zentrale Rolle für den notwendigen Ausgleich zwischen Nutzer- und Urheberinteressen spielen. Ausgehend von der abnehmenden Bindung zwischen Werk und Urheberinnen und Urhebern sowie dem steigenden Allgemeininteresse an veröffentlichten Werken, sinkt mit der Zeit auch der Vergütungsanspruch. Auch dies ist heute bereits durch dessen zeitliche Begrenzung in geltendes Recht gegossen. Wenn nun die Durchsetzung der Ausschließlichkeitsrechte technisch schwieriger wird und gesellschaftlich in Teilen kritisch hinterfragt wird, kann die Stärkung des Vergütungsanspruches zu Beginn der Verwertung, diese Schwächung der Ausschließlichkeitsrechte in gewissem Maße ausgleichen. Im Zuge der Urheberrechtsreform sollte daher die Ermöglichung und die Förderung neuer Vergütungs- und Abrechungsmodelle vorangetrieben werden.

Die immer stärkere Ausdehnung der Schutzfristen, mit denen die Ausschließlichkeitsrechte durchgesetzt werden sollen, dient schon lange nicht mehr den Urheberinnen und Urhebern selbst und beschneidet Interessen und Rechte der Allgemeinheit in ungebührlichem Maße. Mittlerweile reichen diese Schutzfristen über eine ganze Generation nach dem Tod der Urheberinnen und Urheber hinaus. Schutzfristen sollten auf ihren ursprünglichen Zweck zurückgeführt werden, also den unmittelbaren Urheberinnen und Urhebern, nicht aber sekundären oder tertiären Nutznießerinnen und Nutznießern dienen.

Die Digitalisierung lässt die klaren Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten zunehmend verschwimmen. Zum einen fällt jede Meinungsäußerung im Netz durch deren öffentlichen Charakter potentiell unter das Urheberrecht, da sie einer Publikation gleich kommt. Zum anderen wird ins Netz verlagerter privater Austausch zu öffentlichem Handeln, womit Ausnahmeregelungen wie die für die analoge Welt konzipierte Privatkopie in die Diskussion geraten. Zum dritten baut kreatives Schaffen heute mehr denn je auf der Nutzung vorgefundenen medialen Materials auf. Viele Kreative nutzen für ihre Arbeit zugleich Vorarbeiten. Auf diese Weise entstehen neue Werk- und Kunstformen – etwa Remixes oder Mashups. Eine restriktive Rechtsdurchsetzung oder gar eine weitere Verschärfung macht solche neuen Kulturformen und eine generelle Kultur des Austauschs unmöglich. Auch die Wissenschaft stellt ein besonders prägnantes Beispiel der gleichzeitigen Werknutzung und Produktion dar. Weiter steigt die Zahl derer, die kreative Werke auch ohne erwerbswirtschaftliche Interessen schaffen und publizieren, da auch die dafür nötigen Produktionsmittel durch die Digitalisierung einer breiteren Masse zur Verfügung stehen. Damit entsteht ein umfassender Sektor nichtgewerblicher Kultur- und Wissensproduktion – etwa in Wikis, Blogs, Foto- und Videoportalen. Im Rahmen von Common-based Peer Production (Allmendefertigung durch Gleichgesinnte) sind im Netz unzählige Kommunikationsnetzwerke entstanden, die in ihrem ganzen Reichtum aus dem kulturellen Leben nicht mehr wegzudenken sind.

Das geltende Urheberrecht ist auf diese neuen Formen partizipatorischer Kreativität breiter Bevölkerungsschichten jedoch nicht zugeschnitten. Es stammt aus Zeiten, in denen das Urheberrecht ein Spezialgebiet für professionelle Künstlerinnen und Künstler sowie andere Kulturschaffende beziehungsweise ihre Vertragspartnerinnen und -partner war. Dennoch betrifft es heute nahezu jeden, der digitale Medien selbst nutzt. Wir brauchen deshalb ein neues Urheberrecht, das die kreative und häufig auch kritische Auseinandersetzung von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem medial-kulturellen Umfeld fördert.

Die Potenziale der Digitalisierung bestehen in der Öffnung des Zugangs zu den Wissens- und Kulturgütern, der Vernetzung und Kommunikation und der emanzipatorischen Erweiterung der Möglichkeiten jedes Einzelnen selbst kreativ zu werden. Dies gilt für nicht-professionelle wie professionelle Kreative gleichermaßen. Diese Potenziale können ohne ein prinzipielles Umsteuern bei der Entwicklung des Urheberrechtes nicht nutzbar gemacht werden. Nicht die ständige Ausweitung des Schutzniveaus, die Repression gegen Nutzer und die dazu notwendige Überwachung des Internetverkehrs, sondern die Ausgestaltung des Urheberrechtes im Sinne einer angemessenen Schutzwirkung im Interesse der tatsächlichen Urheberinnen und Urheber sowie der Nutzerinnen und
Nutzer muss das Ziel einer modernen Novellierung des Urheberrechts sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Initiative für eine umfassende Modernisierung des Urheberrechts zu ergreifen. Es sollen geeignete Formen gefunden werden, um die Öffentlichkeit in besonderem Maße in die Beratungen einzubeziehen. Hierfür sind digitale Medien eine sinnvolle Basis. Ziel der Initiative soll sein, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem es gelingt:

1. die rechtliche Stellung der Urheberinnen und Urheber im Verwertungsprozess zu verbessern und dabei insbesondere

  • unabdingbare sowie von Verbotsrechten unabhängige gesetzliche Vergütungsansprüche einzuführen und somit sicherzustellen, dass Urheberinnen und Urheber gemäß des Beteiligungsprinzips in allen Fällen der kommerziellen Werknutzung angemessen vergütet werden;
  • vertragsrechtliche Einschränkungen der Möglichkeit des Total-Buyout von Nutzungsrechten einzuführen;
  • Urheberinnen und Urhebern eine verbesserte Kontrolle über ihre Rechte zu ermöglichen, indem solche Rechte, die bei Vertragsschluss eingeräumt, jedoch innerhalb einer angemessenen Frist nicht genutzt werden, automatisch an die Urheberinnen und Urheber zurückfallen (use-it-or-looseit-Klausel);
  • die Übertragung von Nutzungsrechten beim erstmaligen Vertragsschluss grundsätzlich zeitlich zu begrenzen, um einerseits dem „Brachliegen“ von Verwertungsrechten zu begegnen, andererseits sicherzustellen, dass Urheberinnen und Urheber mit Nutzerinnen und Nutzern eine dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeräumten Rechte entsprechende Vergütung auch dann aushandeln können, wenn die Möglichkeit entsprechender Verwertungen sich erst nach der Erstveröffentlichung des Werks ergibt;
  • die Urhebervertragsrechtsreform von 2002 zu evaluieren und entsprechend der Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission Kultur in ihrer Umsetzung erneut zu überprüfen;
  • die Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs „angemessene Vergütung“ in § 32 UrhR durch eine genauere Bestimmung des Begriffs der Angemessenheit im Gesetzestext umzusetzen, etwa im Wege eines Kriterienkatalogs;
  • die Möglichkeit zu schaffen, gemeinsame Vergütungsregeln für einzelne Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft auf dem Wege der Rechtsverordnung in Kraft zu setzen; die Höhe solcher Sätze sollte, wo möglich, nach Lizenzanalogie bestimmt oder nötigenfalls durch Heranziehung von Gutachten oder einschlägigen Gerichtsurteilen der ersten Instanzen bemessen werden;
  • zu überprüfen, inwieweit kleineren Urheberverbänden die Teilnahme an den Verhandlungen über eine angemessene Vergütung ermöglicht werden kann, um eine angemessene Repräsentation auch der spezifischen Interessen kleiner Berufsgruppen zu ermöglichen;
  • im Hinblick auf die angemessene Vergütung ein Verbandsklagerecht für die Urhebervereinigungen einzuführen;
  • Kriterien zu entwickeln, aus denen für Verbände der Verwerter eine eindeutige Befugnis und damit Verpflichtung resultiert, für ihre Mitglieder Verhandlungen über eine angemessene Vergütung zu führen und ggf. in ein Schlichtungsverfahren einzutreten. Mangelnde Passivlegitimation darf kein Vorwand dafür sein, Urheberinnen und Urheber ohne Verhandlungspartner dastehen zu
    lassen;
  • zu verhindern, dass Urheberinnen und Urheber durch unverhältnismäßig lang anhaltende Verhandlungen den gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung nach §32 UrhG verlieren und entsprechend im Gesetzestext klarzustellen, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Abschluss einer Vergütungsregel bzw. mit einem letztinstanzlichen Urteil einsetzt;
  • die Aufklärung von Urheberinnen und Urhebern über ihre Rechte und die neuen Möglichkeiten zur Selbstvermarktung im digitalen Raum zu befördern;
  • die Weiterentwicklung von neuen Vergütungs- und Bezahlmodellen jenseits der etablierten Verwertungskanäle und gängigen Micropayment-Plattformen zu fördern und in diesem Zusammenhang Vorschläge für eine „Kulturflatrate“, die vom Chaos Computer Club vorgeschlagene „Kulturwertmark“ bzw. neue Micropaymentmodelle zu prüfen.

2. Maßnahmen zur Sicherung eines freien und ungehinderten Zugangs zu Informationen und Wissen zu ergreifen, insbesondere

  • die Vereinbarkeit von Systemen der kollektiven Rechtewahrnehmung, etwa Verwertungsgesellschaften, mit der Vergabe von Creative-Commons-Lizenzen (CC-Lizenzen) in vollem Umfang sicherzustellen. Der Abschluss eines Wahrnehmungsvertrags mit einer Verwertungsgesellschaft darf nicht dazu führen, dass Kreativschaffenden die Nutzung von CC-Lizenzen verwehrt wird;
  • Daten von Behörden und öffentlichen Einrichtungen, sofern sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, grundsätzlich unter offenen Lizenzen zur Verfügung zu stellen;
  • eine stärkere öffentliche Förderung von originär digitalen Kulturgütern und Werken zu initiieren und die Instrumente der Kulturförderung zur Stimulation kreativen Schaffens verstärkt auch in der digitalen Welt einzusetzen;
  • im Rahmen einer Weiterentwicklung des Urheberrechts sicherzustellen, dass Bibliotheken, Archive, Museen, Mediatheken und andere öffentlich finanzierte oder nicht-kommerziellen kulturellen Zwecken dienende Gedächtnisorganisationen die Möglichkeit erhalten, in öffentlich zugänglichen Internetdatenbanken ergänzend zu den Metadaten auch ihre audiovisuellen Dokumente in einer dem Medium angemessenen Form und ausschließlich mit Belegfunktion zu präsentieren;
  • eine Reform der Verwertungsgesellschaften einzuleiten, die zu einer stärkeren Demokratisierung und Transparenz der Gremien und der Verteilungspläne führt, sowie die staatliche Aufsicht zu verbessern und die bestehenden Wahrnehmungsverträge einer rechtlichen Revision in Bezug auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu unterwerfen. Erforderlich ist die Gewährleistung der demokratischen Teilhabe der Wahrnehmungsberechtigten, insbesondere der nicht etablierten Künstler und Urheber sowie der Kleinveranstalter, in den Entscheidungsgremien und bei der Verteilung der Einnahmen;
  • keine neuen Schutzrechte einzuführen, insbesondere keine verwandten Schutzrechte wie die Leistungsschutzrechte;
  • die Nutzung verwaister Werke für nicht-kommerzielle Zwecke in einer Weise sicherzustellen, die im Ergebnis eine schnelle und kostengünstige digitale Bereitstellung befördert, sich auf europäischer Ebene für eine Schrankenregelung einzusetzen und auf nationaler Ebene keine Regelung einzuführen, die hinter den Empfehlungen der europäischen High Level Expert Group zurückbleibt oder geeignet ist, das Zustandekommmen einer Schrankenregelung auf europäischer Ebene zu behindern;
  • ein unabdingbares Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren einzuführen, um sicherzustellen, dass die Einräumung von ausschließlichen Nutzungsrechten an Verlage die Verbreitung von Wissen und den wissenschaftlichen Austausch nicht behindern;
  • darauf hinzuwirken dass bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel eine Open-AccessVeröffentlichung zur Bedingung für die Förderung gemacht werden kann;
  • die bestehenden Schrankenprivilegierungen für Wissenschaft und Forschung in einer bereichsspezifischen Wissenschaftsschranke zusammenzufassen;
  • entsprechend der Richtlinie 2001/29/EG „zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ die Vergütungspflicht für Bildungseinrichtungen aufzuheben, die, gestützt auf die Erwägungen in den Nummern 14 und 34, in Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c sowie Absatz 3 Buchstabe a Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts zugunsten von Bildungseinrichtungen und Unterricht ausdrücklich auch ohne Ausgleichsregelung für die Urheberinnen und Urheber zulässt. Die Aufhebung muss auch für Kindertagesbetreuungseinrichtungen gelten.

3. die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern, insbesondere im nichtkommerziellen Bereich zu stärken, und dabei

  • die Dominanz von Verwertungs- gegenüber Nutzerinteressen zugunsten eines Ausgleichs zu überwinden, der die Rechte beider Seiten im Interesse der Allgemeinheit gleichberechtigt anerkennt;
  • den im Rahmen des Schrankensystems gewährleisteten urheberrechtlichen Interessenausgleich durch Bereichsausnahmen, etwa für öffentliche Institutionen sowie für Wissenschaft und Forschung, flexibler auszugestalten;
  • die Möglichkeit der „Privatkopie“ im digitalen Raum zu erhalten und durchsetzungsstark auszugestalten. Privates Kopieren darf nicht durch vertragliche Bestimmungen, etwa in einem Endnutzer-Lizenzvertrag, ausgeschlossen werden.
  • einen Rechtsrahmen für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und Lizenzverträge zu schaffen, der die Aushebelung von Nutzerrechten durch Vertragsbestimmungen verhindert;
  • die Möglichkeit zur Weiterveräußerung von digitalen Werkstücken (Musik-, Film- und sonstige Mediendateien) und Computerprogrammen sicherzustellen;
  • die Aufklärung über Urheber- und Nutzerrechte im digitalen Raum zu befördern;
  • das Abmahnunwesen einzudämmen und einer zukunftsorientierten Rechtsentwicklung Vorrang vor strafrechtlichen Sanktionen gegen private, nichtkommerzielle Rechtsverletzungen zu gewähren. Die bestehende Bagatellregelung für Filesharing sollte durchgesetzt, eine Deckelung der Gegenstandswerte für Abmahnungen bei nicht-vorsätzlichen Urheberrechtsverstößen von Nutzerinnen und Nutzern eingeführt und die Praxis des fliegenden Gerichtsstands eingedämmt werden;
  • Sanktionen und Überwachungspraktiken auszuschließen, die dem Einzelnen das Recht auf Zugang zu Information und die Ausübung von Meinungsfreiheit im Netz erschwert oder verbietet. Insbesondere sind Überwachungs- und Zensurmaßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen auszuschließen.

4. im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Urheberrechts auf europäischer und internationaler Ebene

  • die Vor- und Nachteile bestehender Urheberrechtsregelungen jenseits des nationalen Rahmens zu prüfen. Dabei ist zu erwägen, ob Generalklauseln – insbesondere für nichtkommerzielle Werknutzungen sowie den Wissenschaftsbereich – im deutschen Recht ähnlich der amerikanischen Fairuse-Doktrin vergleichbare Regelungsoffenheit und Handhabbarkeit gewährleisten könnten. Ferner ist zu untersuchen, inwieweit zukünftige Reformen sich an das skandinavische System der erweiterten kollektiven Rechtewahrnehmung (extended collective licences) anlehnen könnten und sollten;
  • sich für die Entwicklung eines umfassenden Regelungsmodells für die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften in der EU einzusetzen und eine Diskussion über die Funktionsbestimmung von Verwertungsgesellschaften, insbesondere über ihren sozialen und kulturellen Auftrag, zu initiieren, sowie auf eine verbindliche Regelung des Rechts der Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften auf europäischer Ebene hinzuwirken, welche einen multiterritorialen Rechteerwerb für möglichst umfassende Repertoires bei einer beliebigen europäischen Verwertungsgesellschaft ermöglicht;
  • Bestrebungen zur Schaffung von Rechteregistern zu unterstützen und sich in diesem Zusammenhang besonders für eine Überprüfung der Revidierten Berner Übereinkunft einzusetzen. Hierbei sollte die Frage im Vordergrund stehen, ob die heutige Regelung weiterhin sinnvoll ist, die Entstehung urheberrechtlichen Schutzes unter keinen Umständen an formale Voraussetzungen wie die verpflichtende Registrierung zu knüpfen; kurzfristig sind möglichst viele Anreize zu einer freiwilligen Rechteregistrierung zu schaffen;
  • sich nachdrücklich gegen eine weitere Verlängerung urheberrechtlicher Schutzfristen einzusetzen und stattdessen für Neuregelungen nach dem Grundsatz „So lange wie nötig, so kurz wie möglich“ einzutreten;
  • für eine stärkere Differenzierung von Schutzfristen nach Auswertungsketten und Nutzungszyklen unterschiedlicher Werkarten einzutreten. Erwägenswert ist in diesem Zusammenhang, für gewerbliche Nutzungen längere Schutzfristen zu konstruieren als für nicht-gewerbliche sowie den Wegfall von Verbotsrechten durch Beteiligungsansprüche zu kompensieren, damit die Geltendmachung von Ausschließlichkeitsrechten nicht zu einer Monopolisierung und somit zur Blockade legitimer Zweitnutzungen oder Wiederverwertungen führt;
  • sich dafür einzusetzen, dass Remixes und Mash-ups durch Einführung einer Schrankenregelung für derivatives Werkschaffen und transformative Werknutzungen auf EU-Ebene entkriminalisiert werden, wie die EU- Kommission im Grünbuch der EU-Kommission „Urheberrecht in der wissensbestimmten Wirtschaft“ [KOM (2008) 466 endg.] vorgeschlagen hat;
  • sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass sämtliche Schrankenregelungen nicht durch technische Schutzmaßnahmen wie Digitales Rechtemanagement (DRM) unterlaufen werden;
  • Harmonisierungs- und Vereinheitlichungsbestrebungen des Urheberrechts zu unterstützen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die grenzüberschreitende kollektive Rechteverwaltung sowie die bestehenden Schrankenregelungen. Das Recht muss mit der technologischen Entwicklung Schritt halten. Kurzfristig ist der bestehende Schrankenkatalog als verbindliche Mindestvorgabe auszugestalten. Langfristig ist die Urheberrechtsrichtlinie (Richtlinie 2001/29/EG) darüber hinaus durch technologieneutrale Generalklauseln zu ersetzen bzw. zu ergänzen;

Berlin, den 28. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Ein Kommentar

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