»Zeitgeist« und Commons

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Vor einigen Wochen ist der Film »Zeitgeist Moving Forward« erschienen (online/torrent und offline), ich habe ihn jetzt (erst) gesehen. Wow, dieser Film hat es in sich. Radikal und zwingend erzählt er das Ende des Fetischs »Marktwirtschaft«. Das hatte ich nicht erwartet. Der Trailer vermittelt davon allerdings kaum den entsprechenden Eindruck:

Worum geht’s und was hat das mit Commons zu tun?

Der Film ist voll von Informationen, so dass man sich mächtig konzentrieren muss, um all den Fakten und Statements zu folgen (v.a. wenn man die deutschen Untertitel mitlesen will). Er besteht aus vier Abschnitten: »Menschliche Natur«, »Soziale Pathologie«, »Projekt Erde«, »Aufstieg«. In allem ist der Film sehr US-zentriert. Ich will mich hier auf einige ausgewählte Aspekte konzentrieren. Ich empfehle die Besprechungen von Franz Nahrada, Andreas Exner und Tomasz Konicz, die in treffender Weise wichtige Kritik-, aber auch Lobespunkte nennen: Kritik an Wissenschafts- und Technikfetischisierung, patriachalen Sichtweisen (achtet auch mal auf die klischeehaften Hintergrundbilder von »Familie« etc.), verkürztem Geldbegriff (Geld=Schuld) etc.; Lob dafür, dass die Systemfrage gestellt und radikal mit Tausch, Geld, Markt, Staat und Politik gebrochen wird. Mit leichter Hand hängt der Film deutlich eine »Verwaltungslinke« ab, die im Sumpf des Alten befangen ist, obwohl sie doch das Gleiche will.

Im Teil »Menschliche Natur« wird viel Zeit aufgewendet, um gegen einen genetischen Determinismus zu argumentieren, gegen das »Angeboren-sein« von nahezu allem und jedem: Kriminalität, Alkoholismus, Faulheit, Übergewicht, Armut etc. Die Dummheit in den USA ist in dieser Frage offenbar grenzenlos. Nicht, dass es solche Debatten hier nicht auch gäbe, allerdings benötigen sie mehr Aufwand, um einen genetischen Determinismus zu begründen. Hervorragend ist, wie der Film immer wieder die dahinter stehenden ökonomischen Interessen dechiffiert: Knast als Profitsystem, das davon »lebt«, immer mehr Menschen einzusperren; Gesundheitswesen als System, dass nur an dauerhaft leidenden und kranken Menschen verdient und keine Interesse an wirklicher »Heilung« hat etc.

Kurzsichtig ist hingegen, dass der genetische Determinismus durch eine Art Umwelt-Determinismus ausgetauscht wird: Die Umwelt macht aus den Menschen all das, was den Genen angedichtet wird. Angeblich habe das die Wissenschaft klar erkannt, nur werde es aus ideologischen Gründen nicht zugegeben. Doch auch der Umwelt-Determinismus ist Ideologie, ist Verkürzung, blendet aus, dass Menschen selbst diese Verhältnisse herstellen, unter denen sie leben und leiden. Sich auf die »andere Seite« der dualistischen Determinismus-Sicht zu stellen, verschlimmbessert die Lage nur.

So wird zwar richtigerweise festgehalten, dass es insgesamt das sozio-ökonomische System sei, das zu verändern sei — wobei sich die Menschen dann in neuer »Umwelt« wohl schon zum Besseren verändern würden, so die Hoffnung. Nur: Wer soll das machen, wenn doch alle »Opfer der Kultur« sind? Es gibt eine unlogische Antwort: die Wissenschaftler. Warum sollten gerade diese von der »Umwelt-Determination« ausgenommen sein? Was befähigt sie zu Einsichten, die anderen verwehrt sind? Dahinter steckt die (in den oben erwähnten Artikeln kritisierte) Vorstellung einer »Neutralität von Wissenschaft«, ja eines Begriffs von »der wissenschaftlichen Methode«, der sehr gefährlich ist. Denn wer »die Methode« inne hat, der hebt sich — völlig unwissenschaftlich — aus dem Kreis der Anderen heraus, begründet einen Status höherer Einsicht, legitimer Autorität, letztlich eines Elitismus. Das muss eigentlich nicht so sein, aber im Film ist es so, und das muss kritisiert werden (sicher ausführlicher als ich das hier tue).

Auch hier kann die Alternative nun nicht ein bloßer wissenschaftlicher Relativismus stehen, nach dem irgendwie alle recht und unrecht zugleich haben — je nach dem, was man halt als »Wissenschaft« ansehen will. Auch das wäre wieder nur eine bloße dualistische Abstoßung, die zwar als Kritik »der wissenschaftlichen Methode« ihre Berechtigung hat, nicht aber als Grundlage für den Standpunkt des Relativismus dienen kann: Dogmatismus und Relativismus sind nur zwei Seiten der gleichen Verkürzung (das habe ich von Sonja gelernt, danke!). Dem gegenüber ist der Begriff der Wahrheit zu verteidigen, der jedoch eine je dem Gegenstand entsprechende wissenschaftliche Herangehensweise erfordert. Methode und Gegenstand sind eben nicht voneinander getrennt, wie »wissenschaftliche Methodisten« behaupten, und die Methode ist auch nicht »subjektiv relativ« wie »postmoderne Relativisten« meinen, sondern von ihrem Gegenstand abhängig, auf diesen bezogen und nur mit diesem gültig.

Im Teil »Soziale Pathologie« werden die geistigen Wurzeln des modernen marktwirtschaftichen Paradigmas bei John Locke und Adam Smith aufgezeigt. Das ist im Einzelnen interessant (bei Locke etwa, dass das Privateigentum »genug für alle« übrig lassen solle). Allerdings ist die Geschichte kapitalistischer Marktwirtschaft nicht nur eine Geistesgeschichte, sondern eine Realgeschichte des qualitativen Übergangs von einer agrarisch-handwerklichen zur industriellen Produktionsweise — was im Film jedoch nicht thematisiert wird. Irgendwann ist die große Industrie, die Marktwirtschaft und das Geldsystem dann »da«, und deren systematisch produzierten strukturellen Ungleichgewichte, Ressourcen-Verschwendungen und Ineffizienzen werden kritisiert.

Hervorragend ist, wie der Kapitalismus als ineffizientes System der Produktion lebensnotwendiger Güter demaskiert wird, während die ideologische Eigenzuschreibung stets das Gegenteil behauptet. Das Geldsystem wird als systematische Überschuldung und Inflationen erzeugend beschrieben, das unweigerlich auf einen Kollaps zusteuern müsse, da der Staat nicht beliebig Geld aus dem Nichts schöpfen könne, um die jeweils vorher angewachsenen und exponentiell weiter wachsenden Schulden auszugleichen. Die Rückbindung an die reale Ökonomie sowie Geld als Wert und (fiktives) Kapital kommen hier viel zu kurz. Insgesamt wird am Begriff und Konzept von »Wirtschaft« festegehalten, nur wird die »knappheitsbasierte« Marktwirtschaft als »antiwirtschaftlich« kritisiert. Stark: »Knappheit« wird als soziale Form der Warenproduktion entlarvt, die nichts oder wenig mit der »Natur« der u.U. nur begrenzt verfügbaren Güter zu tun hat: »Knappheit« wird gemacht, sie ist nicht »da«.

Im Teil »Projekt Erde« wird die Zeitgeist-Alternative der Ressourcenbasierten Wirtschaft (RBW) als »wahrhafte Wirtschaft« vorgestellt. Der Ansatzpunkt ist so schlicht wie richtig: Menschen brauchen für ihr Leben Dinge, die sie unter Nutzung von Ressourcen herstellen. Der Verbrauch der Ressourcen, also die Produktion der Güter, muss sich an der Regenerationsfähigkeit und begrenzten Verfügbarkeit der Ressourcen ausrichten, um für alle Menschen auf der Erde ein gutes Leben zu ermöglichen — heute und für zukünftige Generationen. Um das zu erreichen, müsse der Ressourcenbestand der gesamten Erde erfasst und kartiert werden, um dann wissenschaftlich begründete — und nicht politisch getriebene — Entscheidungen über den Aufbau der Produktion zu treffen. Nervig ist, dass genau an dieser Stelle die deutschen Untertitel penetrant falsch von »Waren« (anstatt von Gütern) sprechen, wo im englischen Original eindeutig von »goods« die Rede ist.

Als Beispiel wird eine Stadt des Venus-Projekts vorgestellt, die nach ingenieurmäßig-optimierten Konzepten entwickelt wurde. Nun, ich wollte in so einer Stadt nicht wohnen. Hier schlägt wieder die vorgeblich »Neutralität von Wissenschaft« durch, die sich von den Bedürfnissen der Menschen entbunden sieht — obwohl immer wieder betont wird, dass es um die Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen gehe. Schleicht sich hier ein, dass Experten über die Bedürfnisse anderer entscheiden? Das wäre sehr schnell eine Schreckensvision, die das Zeitgeist-Projekt gar nicht nötig hat. Genau genommen stehen kreisrunde optimierte Venus-Städte gar nicht zur Debatte, denn bei einem gesellschaftlichen Wandel zu einer RBW ginge es um ein gigantisches Transformationsprojekt der gewachsenen Strukturen in vernünftige, ressourcensparende neue Strukturen, die von den umfassenden Bedürfnissen der Menschen ausgeht. Die richtige Idee, dass Infrastrukturen möglichst effektiv eingerichtet sein müssen (daher die kreisrunde Form der Venus-Stadt), würde für real-vorhandene Städte sicherlich immense Einspareffekte ergeben ohne diese in eine kreisartige Form bringen zu müssen: Alles umzubauen wäre aus Ressourcengründen sinnlos.

Die Bedürfnisse der Menschen als Motor für eine gesellschaftliche Transformation kommen eindeutig zu kurz. Hier zeigt sich kein großes Vertrauen in die Menschen, was nicht jedoch verwundert, sieht man diese nur als »Opfer der Kultur« an. Der Gedanke, dass gerade die Separation und getrennte Befriedigung von Bedürfnissen durch »Konsum« dazu geführt hat, dass die Handlungen der Menschen hochgradig widersprüchlich und selbstschädigend sein müssen, wird zwar im ersten Teil erkannt, aber hier nicht genutzt. Denn umgekehrt würde es bedeuten, dass eine gesellschaftliche Form, die es erlaubt, die vorher getrennten Bedürfnisse wieder in einem Prozess der kommunikativen Vermittlung zusammen kommen zu lassen, zu einer gleichgewichtigen und nachhaltigen Berücksichtigung aller Bedürfnisse führen wird. Sobald Menschen real Einfluss auf die Bedingungen haben, nutzen sie diese auch. Eine »Kaufentscheidung« ist jedoch kein Einfluss, sondern Einfluss muss sich direkt auf die Produktion beziehen. Grundsätzlich ist dies in einer RBW möglich, da hier auf wesentliche separierende Elemente verzichtet wird: Geld, Markt, Staat, Politik, Herrschaft.

Im letzten Teil »Aufstieg« geht es schließlich um die mögliche Ablösung des gegenwärtigen »sozio-ökkonomischen Systems« (von Kapitalismus wird fast nie gesprochen). Hier tut sich »Moving Forward« genauso schwer wie alle, die eine neue, bedürfnisorientierte Gesellschaft wollen. Das kann auch nicht anders sein. So wird also nochmals drastisch vor Augen gefügt, wie sehr dieses globale System »Marktwirtschaft« versagt hat: Ressourcenausbeutung bis zum Ende, Entwaldungen, Hunger (jeden Tag verhungern 18.000 Kinder), Vertreibung, Klimakatastrophe — nichts, was nicht alle irgendwie wissen. Aber wer kann das schon täglich aushalten ohne es zu verdrängen oder die »Schuld« den Opfern zuzuschieben?

Es ist auch nichts, was nicht andere engagierte Menschen beklagen würden, nur zieht Zeitgeist daraus die einzig richtige und logische Konsequenz: Wenn das aktuelle sozio-ökonomische System dies alles produziert hat, dann kann eine Lösung niemals in diesem System gefunden werden. Es reicht eben nicht, einige Hebel innerhalb des Systems zu verlängern oder zu verkürzen oder neu zu stellen, sondern eine neue Art und Weise, die Lebensgrundlagen für alle Menschen zu schaffen, muss in die Welt gesetzt werden. Diese neue Produktionsweise kann nicht auf den Mechanismen des Alten — Geld, Markt, Staat, Waren, Tausch — beruhen. Ob damit tatsächlich alle »Mechanismen des Alten«, wie ich das hier genannt habe, in Frage gestellt sind, ist fraglich. Wahrscheinlich kommt noch einiges hinzu — inklusive der Zeitgeist-eigenen Neutralitätsgläubigkeit in die Wissenschaften. Aber die zentralen Punkte, die in der Regel »linken« Ansätzen entgehen, sind benannt.

So ist das Schlussbild des Films, in dem die Herrschenden die Macht und die Beherrschten das Geld fallen lassen, eben das: ein Bild im Medium des Films. Also Kunst, denn anders als künstlerisch kann man das Szenario nicht zeigen. Jede konkretere Imagination wäre unglaubwürdig. Es wird sich zeigen, ob Zeitgeist tatsächlich eine globale Bewegung werden kann. Warum sie gerade in D-Land kaum existiert, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht, weil hierzulande die Illusionisten, die glauben, man könne mit immanenten Reformen etwas retten, noch den Ton angeben. Mit untauglichen Mitteln drücken sie jedoch den gleichen Wunsch aus wie ihn Zeitgeist verkörpert: Dass die Gesellschaft menschlich werden möge.

Hier gibt’s eine Aufzeichnung einer Diskussion nach der Premiere des Films in Österreich.

Was hat das nun mit Commons zu tun?

Die einfache Antwort lautet: Commons sind eine RBW im Kleinen. Platt gesagt, so wie die RBW »von oben« guckt, so gucken die Commons »von unten«. Die RBW sind schwach in der Frage, wie denn die Menschen tatsächlich dazu kommen, vernünftige und menschliche Verhältnisse zu schaffen — die Commons haben das im Kleinen an unzähligen Beispielen gezeigt. Die Commons sind schwach darin, die Frage zu beantworten, wie denn das Commons-Prinzip gesamtgesellschaftlich ausgedehnt werden könne — die RBW stellt einen solchen gesamtgesellschaftlichen Ansatz dar.

Allerdings, da bin ich mir ziemlich sicher, würde es zu einem gravierenden »Clash of Cultures« kommen, wenn antimonetaristische, technikgläubige Zeitgeistler_innen auf geldignorante, technikskeptische Commonist_innen stoßen — sehr holzschnittartig gesagt. Das passiert ja schon innerhalb der Commons, wenn etwa »digitale« auf »naturale« Commonist_innen treffen.

Aber warum soll das nicht auch sehr spannend werden, sofern man geneigt ist, voneinander zu lernen?

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