Schlagwort: freiheit

Hannah Arendt, das Recht auf Rechte und die freie Migration

Hannah Arendt (Graffiti von Patrik Wolters, fotografiert von Bernd Schwabe; Lizenz: CC BY-SA)

[Voriger Teil: Marx’ Kritik der „sogenannten Menschenrechte“]

Hannah Arendt thematisiert das Dilemma, das totalitäre Regime wie Nazideutschland für die Rechteperspektive erzeugen, indem sie die Freiheit oder das Leben mancher ihrer Bürger:innen bedrohen. Wenn die so Bedrohten flüchten, können sie sich zwar dieser unmittelbaren Gefahr entziehen, verlieren aber dennoch gewisse Rechte – denn oft finden sie sich dann in einem anderen Land wieder, wo sie eigentlich nicht willkommen sind und das ihnen nur ein Minimum an Rechten gewährt (Arendt 1951, 460 f.). Sie stellt fest, dass Menschen Rechte einbüßen, „wenn der Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt Rechte haben kann und der die Bedingung dafür bildet, daß seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen von Belang sind“ – dieser Standort ist für sie „die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft, in die man hineingeboren ist“ (ebd., 461 f.).

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Marx’ Kritik der „sogenannten Menschenrechte“

Jeff Bezos, der derzeit erfolgreichste Privateigentümer der Welt (Lizenz: CC-BY)

[Voriger Teil: Utopisches Denken und der Rechteansatz]

Wer mit der marxistischen Tradition vertraut ist, erinnert sich beim Rechteansatz vielleicht an Marx’ Kritik an den „sogenannten Menschenrechte[n]“, die dieser insbesondere in seinem frühen (1844 veröffentlichten) Text „Zur Judenfrage“ formuliert hat (MEW 1, 347–377, hier 362). Diese Kritik ist allerdings relativ speziell. Marx betrachtet zunächst die „politische[n] Rechte, Rechte, die nur in der Gemeinschaft mit andern ausgeübt werden“ und die „Teilnahme am Gemeinwesen, und zwar am politischen Gemeinwesen, am Staatswesen“ zum Inhalt haben (ebd. – Hervorhebungen entfernt). Mit diesen scheint er kein Problem zu haben, doch er grenzt sie ab von den „Menschenrechte[n]“ im engeren Sinne, sofern sie sich von diesen „Staatsbürgerrechte[n]“ unterscheiden.

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Zukunftsperspektive: Autoritär-chauvinistischer Kapitalismus

Zwei Gesichter des autoritär-chauvinistischen Kapitalismus (Quelle: en.kremlin.ru/events/president/news/55006, Lizenz: CC BY-SA gemäß en.kremlin.ru/about/copyrights)(Voriger Artikel: Neoliberaler Kapitalismus)

Der autoritär-chauvinistische Kapitalismus unterscheidet sich vom neoliberalen durch eine andere Schwerpunktsetzung: Er schreibt der Politik, dem Staat die primäre Rolle dabei zu, die Dinge so einzurichten, wie sie sein sollen, während dem Neoliberalismus zufolge die Politik sich vornehm zurückzuhalten hat (zumindest in der Theorie), da weitestgehend unregulierte Märkte von sich aus für die beste aller Welten sorgen würden. Auch im autoritären Kapitalismus bestimmen Marktwirtschaft und Konkurrenz zwischen Firmen die wirtschaftlichen Verhältnisse, aber der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes ist hier weniger ausgeprägt. Stattdessen greift die Politik ordnend und gestaltend ein und entsprechend wichtig ist es, die je eigenen Interessen gegenüber der Politik erfolgreich zu propagieren und als die wichtigsten durchzusetzen.

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Eine Welt, in der alle gut leben können

Titelbild „Die Welt reparieren“Das Potenzial der commonsbasierten Peer-Produktion

[Mein Beitrag zum neuen Sammelband Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis, herausgegeben von Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller und Karin Werner (Transcript, Bielefeld 2016). Es ist auch möglich, das komplette Buch herunterzuladen (Lizenz: CC BY-NC-ND).]

Die Grundideen des Internets sind Offenheit und Dezentralität – jede soll mitmachen können, ohne erst andere um Erlaubnis fragen zu müssen. Wer heute das WWW benutzt, spürt davon womöglich nicht mehr viel. Wird nicht alles von einigen großen Plattformen wie Google, Facebook, Youtube und Amazon dominiert? Es mag so scheinen, doch ist das WWW nur ein kleiner Teil des Internets und die großen Plattformen sind nur ein kleiner Teil des WWW.

Und was auffällig ist: Auch bei Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter sind es die Benutzer (ich verwende weibliche und männliche Formen zufällig im Wechsel), die alle Inhalte beitragen – anders als beim Fernsehen und bei gedruckten Medien, deren Inhalte von bezahlten Profis erstellt werden. Google ist als Suchmaschine für die Vielfalt des WWW groß geworden, produziert also ebenfalls keine eigenen Inhalte, sondern ermöglicht es, diese zu finden. Beim Onlineshop Amazon spielt der „Marketplace“, auf dem Drittanbieter eigene Produkte verkaufen, eine zunehmend größere Rolle, und eBay lebt komplett von der Vermittlung der Angebote anderer Menschen und Firmen.

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Utopie

streifzuege63[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]

Utopie hat einen schlechten Ruf. Es ist der Nicht-Ort einer fiktiven zukünftigen Gesellschaft, die es nicht geben kann, weil eine Gesellschaft nicht nach einem Masterplan gebaut wird. Gleichzeitig haben wir, die wir etwas anderes als Kapitalismus wollen, Vorstellungen eines Zukünftigen. Wir müssen uns also mit Utopie befassen. Vier zentrale Kritikpunkte möchte ich diskutieren.

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Commons und Grundeinkommen

pragerfruehling19[Repost aus dem Magazin prager frühling zum Schwerpunktthema der Commons]

Über die Vollendung der Commonsidee

von Ronald Blaschke

„Ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa könnte die Rahmenbedingungen für Commons-Initiativen enorm verbessern. Und wenn man die Möglichkeiten der Commons schon mitbedenkt, dann könnte ein Grundeinkommen neben monetären auch nicht-monetäre Elemente wie Energie, Wohnraum oder Bildungsmöglichkeiten, Zugang zu Land oder Ähnliches enthalten. Eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit würde die Zeit, die für Selbstorganisation zur Verfügung steht, wesentlich erhöhen.“[1] Von Brigitte Kratzwald werden die bekannten Argumente für die Beförderung der Teilhabe an Aktivitäten jenseits der Lohnarbeit durch eine bedingungslose materielle Absicherung genannt. Diese Zusammenhänge wurden bereits 1982 von der unabhängigen Erwerbslosenbewegung in Deutschland in deutlich lohnarbeitskritischer und antipatriarchalischer Orientierung pointiert vorgetragen.[2] Auch in den Grundeinkommenskonzepten der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE fanden sie seit deren Gründung im Jahr 2005 Eingang.[3] Die in der Commons-Debatte übliche Verortung der Produktion und Nutzung der Commons jenseits von Markt und Staat ist nicht neu. Sie findet sich nicht nur in den Konzepten der Solidarischen Ökonomie, sondern auch in der deutschen Existenzgelddebatte vor 35 Jahren, in der spanischen Bewegung für eine „Grundeinkommen der Gleichen“ vor zehn Jahren[4] sowie in vielen aktuellen Grundeinkommenskonzepten.

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Dass nichts bleibt, wie es ist…

Streifzüge Nr. 60/2014[Alle »Keimformen«-Artikel in Streifzüge 60/2014]

Von Annette Schlemm

Dass nichts bleibt, wie es ist…“ – dies ist eines der größten philosophischen Rätsel mit ungemein politischem Hintergrund. Den Beschleunigungswahn der technischen „Revolutionen“ erlebt jeder Mensch unserer Zeit. Aber viele von uns haben auch schon erlebt, dass sich staatliche Institutionen und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse grundlegend verändern können. Und einige erwarten – möglichst bald – den nächsten Wandel, bei dem wir uns von unnötigen ökonomischen Beschränkungen, wie dem Kapitalakkumulationszwang und auch anderen Herrschaftsformen endgültig befreien.

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Rezension: Christoph Spehr (2003) »Gleicher als Andere«

Rezension: Christoph Spehr (2003) Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation. Mit Kommentaren von Frigga Haug, Ralf Krämer, Stefan Meretz, Dorothee Richter, Babette Scurrell, Uli Weiß, Frieder Otto Wolf u.a.

Von Marco Pompe, Berlin

Herrschaftskritik, die sowohl anarchistische, als auch marxistische Elemente beinhaltet, entwickelt zunehmend Orientierungsfunktion in der Linken. Wie dieses Zusammengehen heute theoretisch wie praktisch funktionieren kann wird aber selten direkt verhandelt. Auch der 2001 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgezeichnete Text ‚Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation‚ stellt sich nicht wirklich dieser Herausforderung. Dafür geht aber das Buch, indem dieser Text auf ca. 100 Seiten veröffentlicht und anschließend in zahlreichen Kommentaren diskutiert wird, insgesamt ein gutes Stück diesen Weges. Wie in dem Text erläutert besteht die emanzipatorische Linke aus vielen Strömungen. Er macht deutlich, daß der Selbstfindungsprozess als eine strömungsübergreifende Bewegung nicht abgeschlossen ist. Mir scheint, die Debatte um Spehrs Text in Erinnerung zu rufen, kann diesen Prozess unterstützen und die Qualität von so manchem politischen Projekt positiv beeinflussen.

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Ursachen, Gründe und Interessen

Streifzüge 59[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]

Geschieht etwas, so wurde das Geschehene durch etwas bewirkt, angestoßen, ausgelöst. Der Aufstieg des Kapitalismus und mit ihm der von Natur- und Ingenieurwissenschaften hat den göttlichen Beweger entmachtet und Wirkungen fortan auf Ursachen zurückgeführt. Auf Ursachen, die fortan gezielt herbeigeführt – verursacht – wurden, um beabsichtigte Wirkungen zu erzielen, die wiederum als neue Ursachen weitere Wirkungen zeigen: Wasser erhitzen – Dampf erzeugen – Volumenexpansion in Schubbewegung umsetzen – Schubbewegung in Drehbewegung verwandeln usw. usf. Der Ursache-Wirkungszusammenhang ist seither eine der zentralen Denkfiguren der Moderne.

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Peer-Produktion und gesellschaftliche Transformation

Das Journal Critical Studies in Peer Production (CSPP) (inzwischen umgewandelt in Journal of Peer Production) lud mich ein, ein Diskussionspapier für die Ausgabe über Freie Software einzureichen. In diesen Papier versuche ich analytische Diskurs-Figuren herauszuarbeiten, wie sie in zehn Jahren der Forschung über Freie Software und commons-basierter Peer-Produktion im Oekonux-Projekt entwickelt wurden. Wie schon bei der englischen Version erscheint der Text in einer Serie von wöchentlichen Blogposts. Die einzelnen Diskurs-Figuren sind untereinander quer verlinkt. Anfangs werden die meisten Links »nach vorne« nicht funktionieren, was aber immer besser wird, je mehr Diskursfiguren erscheinen — also bitte etwas Geduld. Nun geht’s los mit dem Abstract, der Einführung, den Danksagungen und der verwendeten Literatur.

Zehn Diskursfiguren aus dem Oekonux-Projekt

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